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1937/38: Süderelbe wurde ein Teil von Hamburg

Die Region Süderelbe, mit deren Geschichte sich die Geschichtswerkstatt Süderelbe befasst, gab es erst seit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937. Zuvor gehörten die Gemeinden Neuenfelde, Francop, Altenwerder, Fischbek, Neugraben zum Landkreis Harburg in der preußischen Provinz Hannover, während Cranz nach der Auflösung des Landkreises Jork seit 1932 zum Landkreis Stade gehörte.

Durch das Groß-Hamburg-Gesetz wurden diese Gemeinden zum 1. April 1938 in die Hamburger Verwaltung eingegliedert. Sie bildeten dort mit Harburg und Wilhelmsburg sowie Moorburg, das seit dem Mittelalter zu Hamburg gehört hatte, einen von 10 Kreisen, der jedoch nur bis 1943 bestand.

Um nach den verheerenden Bombenangriffen des Jahres 1943 die Versorgung der Bevölkerung vor Ort besser zu koordinieren, schuf die NS-Führung eine neue Verwaltungsstruktur für Hamburg, die neben 6 Kreisen 23 Ortsamtsbezirke vorsah. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernahmen zunächst die britische Militärregierung und später die Freie und Hansestadt Hamburg diese Struktur.

Ab 1951 hatte Hamburg 7 Bezirke mit 15 Ortsamtsbereichen. Eines davon war das Ortsamt Süderelbe im Bezirk Harburg, das für Cranz, Neuenfelde, Francop, Altenwerder, Neugraben-Fischbek, Hausbruch und Moorburg zuständig war. Mit der Bezirksverwaltungsreform von 2007 verloren die Ortsämter ihre Eigenständigkeit und wurden zu Dienststellen der jeweiligen Bezirksverwaltung.

Dieser Artikel beschreibt, wie aus den ehemals preußischen Gemeinden im südlichen Umland Hamburgs Stadtteile der Freien und Hansestadt Hamburg wurden, die bis zum Jahr 2007 den Ortsamtsbereich Süderelbe bildeten.

Wachstum in engen Grenzen

Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert und in den Jahren des Ersten Weltkriegs gab es im Hamburger Senat Überlegungen zur Erweiterung des Hamburgisches Staatsgebietes, da das seit dem Mittelalter bestehende Territorium zwischen Alster und Hafen als zu eng für die sich abzeichnende Entwicklung hin zur Großstadt angesehen wurde. Sowohl der weitere Ausbau des Hafens als auch die Ansiedlung von Betrieben und Unternehmen stießen an Grenzen, da die dafür erforderlichen Flächen innerhalb des Stadtgebiets fehlten.

Preußische Nachbarn

Die Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und das Wirtschaftswachstum um 1900 führten zudem zu einer erheblich wachsenden Einwohnerzahl in Hamburg, so dass es immer schwieriger wurde, Wohnungen für die Arbeitskräfte innerhalb der Stadtgrenzen zu bauen. Viele Arbeiter fanden Wohnungen in den benachbarten preußischen Städten Altona, Wandsbek und Harburg, die ihrerseits eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung durchliefen. Beispielsweise prägten die Gummi- und Pflanzenölfabriken das industrielle Wachstum Harburgs ganz entscheidend.

Diese Luftaufnahme aus der Ausstellung "Harburg von Oben" des Stadtmuseums Harburg (28. April 2023 bis 28. April 2024) zeigt die Harburger Elbbrücken und den Harburger Hafen an der Süderelbe Anfang der 1930er Jahre. Im Hintergrund sind die Ortschaften der heutigen Region Süderelbe zu erahnen. (© Stadtmuseum Harburg)

Schumachers Achsenkonzept

Vor diesem Hintergrund entwarf der Hamburger (Ober-)Baudirektor Fritz Schumacher 1917 sein Konzept für eine Entwicklung Hamburgs entlang von ins Umland führenden Achsen. Eine dieser Achsen führte südlich der Elbe über Harburg weiter in Richtung Buxtehude und berührte die Gemeinden in der heutigen Region Süderelbe. Die benachbarten preußischen Städte und die zahlreichen preußischen Landgemeinden sollten sich den Erfordernissen der wachsenden Großstadt Hamburg unterordnen und insbesondere Wohnraum für die Arbeiterschaft bereitstellen.

Die Denkschrift des Senats von 1921

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gab es mehrere Anläufe des Hamburger Senats, für die Erweiterung des Staatsgebiets ein Konzept zu entwickeln und darüber mit Preußen ins Gespräch zu kommen. Um diese Bestrebungen zu untermauern, wurde 1921 eine Arbeitsgemeinschaft Groß-Hamburg gegründet, deren vorrangige Aufgabe darin bestand, durch Vorträge, Veröffentlichungen und Veranstaltungen in Hamburg selbst wie auch in den umliegenden Städten und Gemeinden für die territoriale Erweiterung Hamburgs zu werben. Inhaltlich wurden die Forderungen in einer Denkschrift des Senats vom September 1921 zusammengefasst, in der die Argumente für ein größeres Hamburg ausgeführt und durch reichhaltiges Karten- und Bildmaterial ergänzt wurden.

Der Hamburgisch-Preußische Landesplanungsausschuss

Im Ergebnis erwies sich dieses Vorpreschen Hamburgs jedoch als weitgehend wirkungslos, da die preußische Regierung darin den Versuch sah, Anspruch auf preußisches Gebiet zu erheben, ein Ansinnen, das sie zu diesem Zeitpunkt vehement ablehnte. Obwohl Preußen sich später bereit zeigte, z.B. in dem 1929 gebildeten Hamburgisch-Preußischen Landesplanungsausschuss an einer gemeinsamen konzeptionellen Planung für ein Planungsgebiet im Umkreis von 30 Kilometern um das Hamburger Rathaus mitzuwirken, wurden bis 1933 keine Ergebnisse erzielt, die eine koordinierte Entwicklung von Wirtschaft, Verkehr und Wohnen im Großraum Hamburg und in der Region Süderelbe eingeleitet hätten.

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Die Rolle von Herrmann Göring

Die Wende in der Groß-Hamburg Frage trat ein, als Hermann Göring – preußischer Ministerpräsident und seit Oktober 1936 zugleich Beauftragter für den Vierjahresplan – im November 1936 anlässlich eines privaten Besuchs in Hamburg in Gesprächen im kleinen Kreis von der Hamburger NS-Führung unter Reichsstatthalter Kaufmann von der Notwendigkeit einer Gebietserweiterung Hamburgs überzeugt werden konnte. Als Beauftragter für den Vierjahresplan, der Deutschland innerhalb von vier Jahren in die Lage versetzen sollte, einen Krieg zu führen, konnte er allen Behörden Weisungen erteilen. Das Groß-Hamburg-Gesetz sollte die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt voranbringen und damit einen Beitrag zur Vorbereitung des für 1940 geplanten Kriegs leisten.

„Stadtplanung“ in der Diktatur

Zunächst plante Göring, auf der Grundlage von Vorschlägen des Hamburger Senats auf dem Verordnungsweg zu regeln, welche Gebiete Hamburg erhalten sollte, was im preußischen Innenministerium jedoch auf Vorbehalte stieß. Entgegen den Widerständen im Ministerium entschied Göring mit einem Federstrich, dass Hamburg Gebiete von Preußen erhalten sollte und gleichzeitig eigene Gebiete abtreten müsse. Die Details wurden im Januar 1937 in Verhandlungen zwischen der Hamburger NS-Führung und dem Reichsinnenministerium festgelegt, die auf Seiten Hamburgs jedoch nur unzulänglich und ohne Beteiligung von Städteplanern vorbereitet worden waren. Als Grundlage wurde eine Karte herangezogen, die im Jahr 1921 zur Denkschrift des damaligen Senats erstellt worden war und in der mit einem blauen Stift die Grenze der Hamburger Gebietsforderungen umrissen wurden. Eine Stadtplanung im eigentlichen Sinn, die sich an wirtschaftlichen, sozialen oder räumlichen Gegebenheiten orientiert hätte, fand nicht statt.

Die Ausdehnung Hamburgs im Südwesten

Für den Süden Hamburgs hatte es in den Verhandlungen keine konkreten Festlegungen gegeben, so dass der Hamburger Reichstatthalter Karl Kaufmann am 15. Januar 1937 zu einer Ortsbesichtigung in die Region fuhr und dann ohne weitere Rücksprachen entschied, dass die südlichen Randgebiete Hamburgs im Landkreis Harburg ohne die Gemeinden Vahrendorf, Sottdorf, Leversen, Tötensen und Metzendorf nach Hamburg eingemeindet werden sollte. Gegen diese Gemeinden sprachen aus seiner Sicht ihre landwirtschaftliche Prägung und die schlechte Verkehrsanbindung, was allerdings für andere Gemeinden auch galt, die dennoch Teil Hamburgs wurden. Die Entscheidungen hinsichtlich der künftigen Grenze Hamburgs im Süden erscheinen zufällig und wurden ohne stadtplanerischen Sachverstand getroffen. Letztlich zeigt sich auch bei diesem Aspekt, dass in der nationalsozialistischen Diktatur Entscheidungen von wenigen Amtsträgern über die Köpfe der Beteiligten hinweg getroffen wurden. In der Karte aus dem Jahr 1921 wurde die künftige Grenze Hamburgs im Südwesten mit einem von Hand gezogenen roten Stift markiert und korrigiert.

Das Gesetz über Groß-Hamburg von 1937

Das Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen (kurz: Groß-Hamburg-Gesetz) wurde am 26. Januar 1937 von der Reichsregierung beschlossen und trat bereits am 1. April 1937 in Kraft. Es legte fest, welche preußischen Städte und Gemeinden zu Hamburg gehörten und welche Gebiete Hamburg an Preußen abtrat. Neben den Städten Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg und zahlreichen anderen preußischen Gemeinden wurden in diesem Gesetz die Gemeinde Cranz im Landkreis Stade, sowie Altenwerder, Fischbeck, Francop, Neuenfelde und Neugraben im Landkreis Harburg aufgeführt. Die Gemeinde Fischbeck umfasste dabei das Gebiet des heutigen Stadtteils Neugraben-Fischbek, die Gemeinde Neugraben umfasste das Gebiet östlich des Scheidebaches bis hin nach Harburg, enthielt also das heutige Hausbruch und Neuwiedenthal. Hausbruch existierte zu diesem Zeitpunkt nicht als eigenständige Gemeinde.

Literatur

Ursula Büttner: Politische Gerechtigkeit und Sozialer Geist. Hamburg zur Zeit der Weimarer Republik (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Band XX, Hamburg 1985), S. 200 – 203

Digitalisat

Werner Johe: Territorialer Expansionsdrang oder wirtschaftliche Notwendigkeit? Die Groß-Hamburg-Frage (in: Zeitschrift für Hamburgische Geschichte, Band 64/1978, S. 149 – 180)

Digitalisat

Holger Martens: Hamburgs Weg zur Metropole. Von der Groß-Hamburg-Frage zum Bezirksverwaltungsgesetz (Beiträge zur Geschichte Hamburgs, Band 63, Hamburg 2004)

Bibliothek der Geschichtswerkstatt Süderelbe

Uwe Lohalm: "Modell Hamburg". Vom Stadtstaat zum Reichsgau. (In: Hamburg im "Dritten Reich"/ hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Göttingen 2005, S. 122-153)

Sylvia Necker und Meik Woyke: Vom Achsenkonzept zur Metropolregion. Stadt- und Regionalplanung für den Großraum Hamburg seit dem Ersten Weltkrieg (in: Zeitschrift für Hamburgische Geschichte, Band 95/2009, S. 143 – 166)

Digitalisat

Elke Pahl-Weber: Das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 und seine landesplanerischen Folgen für Harburg (in: Harburg. Von der Burg zur Industriestadt. Beiträge zur Geschichte Harburgs 1288 – 1938/ hrsg. von Jürgen Ellermeyer, Klaus Richter, Dirk Stegmann, Hamburg 1988)

Bibliothek der Geschichtswerkstatt Süderelbe

Quellen

Der Reichsstatthalter in Hamburg an den Reichs- und Preußischen Innenminister Frick, 15. Januar 1937

In diesem Schreiben erklärt der Reichsstatthalter Kaufmann, welche Gemeinden aus dem Landkreis Harburg zu Hamburg kommen sollen und welche nicht.
Staatsarchiv Hamburg
131-10 II, 746

Weblinks

Auf der Seite des Vereins für Hamburgische Geschichte gibt in der Reihe „Griff in die Geschichte“ der Artikel über das Groß-Hamburg-Gesetz einen guten Überblick:
Ein weiterer Überblicksartikel über das Groß-Hamburg-Gesetz mit dem Fokus auf den nördlich der Elbe gelegenen Gebieten ist im Stormarn-Lexikon zu finden:

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